Vorwort I. Analyse der historischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten 1. Historischer Abriß 1.1. Englands Chinahandel unter dem Kanton-System 1.2. Der erste Opiumkrieg 1.2.1. Beginn des Opiumkonflikts 1.2.2. Verlauf der Auseinandersetzungen 1.2.3. Die Ungleichen Verträge 1.2.4. Aufgaben und Struktur der neuen Kolonialregierung
Anlaß unserer Arbeit über Hong Kong war vor allem die Aktualität der am 1. Juli stattfindenden Übergabe von
Großbritannien an die Volksrepublik China. Der damit verbundene,lange vorbereitete Wechsel der Kolonie von einem
Gesellschaftssytem zu einem scheinbar völlig gegensätzlichem ist in der Geschichte bislang ohne Beispiel. Bei näherer
Beschäftigung mit dem Thema wurden wir auf weitere interessante Aspekte aufmerksam. So hat die Vergangenheit und Gegenwart Hong
Kongs Beispielcharakter für viele Entwicklungen von Wirtschaft und Gesellschaft; unter anderem durch seinen Funktionswandel als
Wirtschaftsstandort. Auch sind am Beispiel der Kolonie die Prinzipien der englischen Kolonialpolitik gut zu erkennen. Ein
weiterer Grund für die Beschäftigung mit diesem Land ist die zunehmende Bedeutung des südostasiatischen Raumes für die
globale Wirtschaft.
Ziel der Arbeit ist der Versuch einer Zukunftsprognose. Eine eigene Betrachtung ist wegen der Interessengebundenheit der meisten bereits bestehenden Aussagen zur Zukunft Hong Kongs wichtig. Der Reiz des Vorausblickes liegt in der Möglichkeit, schon in wenigen Monaten überprüfen zu können, ob das Erwartete eintrifft. Die Wechselhaftigkeit der chinesischen Regierungspolitik läßt eine absolute Vorhersage nicht zu.
Grundlage unserer Prognose ist hauptsächlich eine Analyse der bisherigen Entwicklung Hong Kongs. Daher haben wir besonderen Wert auf einen ausführlichen historischen Teil gelegt.
Grundsätzlich lag der Beweggrund für die Wahl des Themas im eigenen Interesse, weil Ostasien im Unterricht kaum behandelt wurde. Die Bearbeitung der Unterthemen teilten wir untereinander auf. Markus Beier legte dabei den Schwerpunkt auf die wirtschaftlichen und geschichtlichen Zusammenhänge, Jörg Wagner auf Geographie und Kultur/Demographie.
Diskrepanzen zur gewohnten Schreibweise einiger chinesischer Begriffe treten wegen den unterschiedlichen Verschriftlichungsformen auf. Von uns wurde die Pinyin Verschriftlichung des Kantonesischen gewählt. Wegen verschiedener Angaben in den jeweils verwandten Quellen kann es zu Abweichungen bei Zahlenangaben kommen.
Hess.Lichtenau, den 29.01.1997
I. Analyse der historischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten
1.1. Englands Chinahandel unter dem
Kanton-System
Englands Präsenz in China beginnt im Jahre 1699. Die Interessen
in China beschränkten sich anfangs nur auf Handelsbeziehungen.
So waren es zuerst auch nur kleinere Abstecher mit ein paar
Schiffen. 1786 entstand die erste ständige Handelsvertretung vor
der Stadt Kanton. Die Handelsbeziehungen wurden ausschließlich
von der East India Company unterhalten, da sie das
Außenhandelsmonopol besaß. Aus China wurde Tee, Porzellan,
Seide sowie andere Luxusgüter importiert, nach China exportiert
wurden englische Industrieerzeugnisse. Den Hauptanteil
Importgüter bildete der Tee. Der Handel damit war sehr
gewinnbringend, da zur selben Zeit in Großbritannien der
5 Uhr Tee in Mode kam. Seide nahm einen weit geringeren
Stellenwert ein. Sie war auch in Indien zu bekommen. Doch um die
britischen Textilmanufakturen zu schützen, wurde sogar die
Einfuhr von Seide und anderen Stoffen verboten. Das Verbot wurde
erst später im Zuge der Free Trade Doctrine aufgehoben. Ein
Problem im Chinahandel lag darin, daß China wirtschaftlich
autonom war und daher die Industrieerzeugnisse nicht gut verkauft
werden konnten. Der Tee mußte also zusätzlich mit Silber
bezahlt werden.
Der Handel an sich gestaltete sich sehr schwierig. Der Außenhandel durfte nur nach dem Kanton-System durchgeführt werden. Das heißt, daß nur in der Stadt Kanton mit Ausländern gehandelt wurde. Es gab spezielle Händler, die als einzige in Kontakt mit den Ausländern treten durften. Den Ausländern war es verboten, die Stadt zu betreten, ihre Frauen mitzubringen, Diener einzustellen, chinesisch zu lernen und chinesische Bücher zu kaufen. Ihr Lebens- und Handelsbereich erstreckte sich auf ein Ghetto vor der Stadt. Es gab 13 Gilden, die das Handelsmonopol für einen bestimmten Warenbereich hatten. Die "Barbaren" waren im Ghetto dem chinesischen Strafrecht unterworfen, was sie Bestrafungen wie Auspeitschungen und Folter aussetzte. Nach Ende der Handelssaison, welches durch die Unschiffbarkeit der Gewässer festgelegt war, mußten sie das Ghetto verlassen. Während dieser Zeit lebten die meisten Händler in der portugiesischen Besitzung Macao. Besonders beschwerten sich die ausländischen Händler über das undurchsichtige und willkürliche System von "Gebühren" und Abgaben, welche sich nach Aufhebung des Chinahandelsmonopols der East India Company im Jahre 1834 noch verstärkten. Das Kanton-System und die neue Free Trade Doctrine, die im Sinne des neuen Wirtschaftsliberalismus herausgegeben wurde, waren völlig gegensätzlich. China konnte sich diese Überheblichkeit leisten. Außerdem war das Geschäft trotz aller Unannehmlichkeiten dennoch sehr lukrativ.
1.2.1. Beginn des Opiumkonflikts
Der Handel wurde sogar noch lukrativer, als die englischen
Händler bemerkten, daß die Chinesen enormen Gefallen an Opium
hatten. Opium gab es in den anderen britischen Kolonien besonders
in Indien in Hülle und Fülle, so daß es sehr günstig
beschafft werden konnte. Der Opiumhandel mit China positivierte
die Handelsbilanz. Mittlerweile floß wieder Silber aus China
nach England. Da Silber inzwischen sehr viel wertvoller geworden
war, lohnte es sich für die Kaufleute um so mehr. Es entstand
ein weiterer Dreieckshandel. Britische Industrieerzeugnisse
gingen nach Indien. Von dort wurde das Opium nach China
exportiert. In China wurde das Opium gegen Tee gehandelt. Das
Opium hatte für die Wirtschaft und die Volksgesundheit
verheerende Folgen. In Beijing wurden daher heftige Diskussionen
geführt, ob der Handel und Gebrauch von Opium nicht gänzlich zu
verbieten sei. Der Gebrauch und Handel war eigentlich vorher
schon offiziell verboten worden. Das Verbot wurde jedoch nur sehr
ungenau kontrolliert. Aufgrund der weitreichenden Folgen, die der
Abfluß des britischen Silbers für die Wirtschaft hatte, konnten
sich die Befürworter der strengeren Kontrolle des Opiumverbots
in der Hauptstadt durchsetzen. Um den Opiumhandel wirksam zu
unterbinden, wurde einer der energischsten chinesischen
Hofbeamten namens Lin Zexu 1839 nach Kanton geschickt. Ihm wurde
ein Heer zur Verfügung gestellt mit dem er das Kantoner Ghetto
umstellte und die Herausgabe des Opiums forderte. Von dem
plötzlich so entschlossenen Auftreten Chinas überrascht,
verließen die Engländer das Ghetto und überließen Lin Zexu
rund 20.000 Kisten Opium. Da Lin ein Abkommen mit den Portugiesen
auf Macao getroffen hatte, wurden die Engländer dort nicht
aufgenommen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich auf
eine der Inseln im Mündungsbereich des Perlflusses
zurückzuziehen. Ihre Wahl fiel auf Hong Kong. Eine felsige
Insel mit ungefähr 3.500 Bewohnern, sowie noch einmal circa
2.000 auf ihren Booten lebenden Fischern. Lin Zexu statuierte
inzwischen ein Exempel indem er die Kisten, insgesamt mehr als 1
Millionen Tonnen Opium, verbrennen ließ.
1.2.2. Verlauf der Auseinandersetzungen
Bei ihrem entschlossenen Eingreifen hatte die chinesische
Führung übersehen, daß England eine wesentlich aggressivere
Handelspolitik führte als Portugal mit dem es bisher in
Auseinandersetzungen zu tun hatte. Die Briten hatten mit dieser
Politik die Portugiesen längst als führende Handelsnation im
pazifischen Handelsraum abgelöst. Ganz im Sinne der Erhaltung
ihrer Hegemonialstellung entsandte England 1840 ein
Expeditionscorps bestehend aus 49 Kriegsschiffen und 4.000
Soldaten in die südchinesische See und erklärte China im Juli
des gleichen Jahres den Krieg. Dieser "erste
Opiumkrieg" verlief nicht kontinuierlich. Gefechts- und
Verhandlungsphasen wechselten einander ständig ab. Während
einer dieser Verhandlungsphasen, fiel im Vertrag von Chuanbi die
Insel Hong Kong an England. Sie wurde am 26.1.1841 formell
in Besitz genommen. Anfangs waren viele mit der Standortwahl
unzufrieden. Foreign Secretary Lord Palmerston prägte in dieser
Zeit das oft zu lesende Zitat "a barren island with hardly a
house upon it", um Hong Kong zu beschreiben. Doch schon
die Übersetzung des Begriffes Hong Kong läßt die Vorzüge
der Insel offenbar werden. Hong Kong heißt auf deutsch
"Duftender Hafen". Das besondere an dem Hafen war nicht
unbedingt sein Geruch, sondern vielmehr die Tatsache, daß er
taifunsicher und besonders tief war, was für die heutige
Schiffahrt von besonderer Bedeutung ist. Für England war es
wichtig, einen sicheren Hafen als Stützpunkt für ihre Flotte zu
haben. Es war ohnehin geplant, die Insel nicht wie eine
gewöhnliche Kolonie zu nutzen und auszubeuten. Auf
Hong Kong sollte vielmehr ein strategischer Stützpunkt für
weitere Ostasienunternehmungen Großbritanniens entstehen.
Hong Kong wurde "not with a view of colonisation, but
for diplomatic, military and commercial purposes"
ausgewählt, wie Königin Victoria in einer Instruktion am 3.
Juni 1843 schrieb.
1.2.3. Die Ungleichen Verträge
Der Krieg endete 29.8.1842 mit dem Vertrag von Nanjin, der die
Niederlage Chinas feststellte und den Briten neben Kanton vier
weitere Häfen für den Handel öffnete sowie günstigere und vor
allem feste Zolltarife zusicherte. Außerdem mußte das
Kanton-System abgeschafft werden. Von nun an war es den Briten
erlaubt, direkt mit chinesischen Händlern in Kontakt zu treten.
Auch wurden viele der vorigen Restriktionen abgeschafft, wie das
Verbot Chinesisch lernen zu dürfen. Die "Kronkolonie
Hong Kong" war also fürs erste abgesichert. Der erste
Opiumkrieg minderte aber keineswegs den Opiumhandel. Er wurde
jetzt lediglich verdeckt durchgeführt. Hierbei nutzten die
Schmuggler die Hilfe der Missionare, deren Schiffe sie zum
Schmuggel benutzten. Außerdem waren sie häufig als Dolmetscher
tätig. Auf diese Weise verdienten sich die später angesehensten
Hong Konger Kaufleute eine "goldene Nase". So
stachen besonders die Gründer des Heute größten Handelshauses
in Hong Kong "Jardine & Matheson" aus der
Menge der Schmuggler durch ihren Erfolg hervor. Zu dieser Zeit
war der Chinahandel auf Hong Kong bestimmt vom Abenteuer.
Hatte man den Mut dazu, konnte man durch Schmuggelei ein
Vermögen machen.
1.2.4. Aufgaben und Struktur der neuen
Kolonialregierung
Die Regierung der Kronkolonie kam die Aufgabe zu, den Freihandel
zu überwachen, mit dem chinesischen Kaiser in diplomatischem
Kontakt zu bleiben sowie sich um die wirtschaftlichen Belange der
Kolonie zu kümmern. Der Aufbau der Verwaltungsorgane sah
folgendermaßen aus. Der eigentliche Machthaber in der Kolonie
war der Gouverneur. Er wurde auf Zeit von der Königin bestimmt.
Diese Art der Einsetzung sollte den Gouverneur unabhängig von
der Bevölkerung und anderen Interessengruppen halten. So konnte
er einen konsequenten Regierungsstil durchhalten. Es gab in der
Kolonie von Anfang an eine Gewaltenteilung. Das Oberhaupt der
Exekutive ist der Gouverneur, er steht auch dem Legislativrat
vor. Diese Gremien wurden ebenfalls nicht gewählt, sondern auf
Vorschlag des Gouverneurs und nur mit ausdrücklicher Zustimmung
durch die Krone besetzt. Das System der Ernennungen wurde bis vor
wenigen Jahren immer noch durchgeführt. Aus diesem System kann
man auch ableiten, warum es bis vor kurzem nicht zur Bildung
politischer Parteien kam. Wenn man ohnehin nicht an der
Staatsgewalt partizipieren kann, hat es auch keinen Sinn, sich in
Parteien zu organisieren. Der Regierungsstil zeichnete sich auf
der einen Seite durch enorme Autorität auf der anderen durch
sehr geringe Einmischung in wirtschaftliche Belange aus. So
konnte sich der Handel frei entfalten.
Diese Seite wurde von Markus Beier erstellt. Sie wurde das letzte Mal am 17.07.1999 aktualisiert.